Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt

"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe

Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)

Sonntag, 10. Juni 2012

Sonntags-Pausen-Krimi 16: Beichtgeheimnis

Beichtgeheimnis

Die hölzerne Tür öffnet sich leise und wird geschlossen, das Knarren der alten Bodenbretter und der Kniebank. Geräusche, tausendfach gehört, in der Friedlichkeit des Hauses.
    "Gelobt sei Jesus Christus." Worte, tausendfach gesprochen.
    Jedoch die Antwort bleibt aus, nur ein tiefer Atemzug aus dem dunklen Nachbarverschlag ist zu vernehmen.
    Doch dann, ganz leise: "Amen ..." gefolgt von weiterer Stille.
    Der Gast zögert. Eine Einladung: "Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit."
    Wieder Schweigen, nur das dumpfe Rascheln von Kleidungsstücken.
    "Erleichtere dein Gewissen, dein Herz und deine Seele, mein Kind. Der Herr hat ein offenes Ohr für alle."
    Ein kalte Männerstimme erklingt, nicht mehr so leise wie zu Beginn.
    "Hat er auch mehr Geduld als Sie ... Vater?"
    "Ich wollte dich nicht hetzen. Nur ermutigen. Nimm dir soviel Zeit, wie du brauchst."
    "Nun denn. Vergib mir ... Vater ... denn ich habe gesündigt ..."
    Eine erneute Pause. Mit zusammengekniffenen Augen versucht der Geistliche durch das Holzgeflecht in das andere, ebenso dunkle Abteil zu spähen. Er nimmt eine undeutliche Bewegung wahr.
    "Wann ... wann warst du das letzte Mal bei der heiligen Beichte, mein Sohn?"
    "Ich kann mich nicht genau erinnern ... Vater. Es ist ... eine Ewigkeit her. Eigentlich ist es gar nicht mehr wahr. Ich würde fast sagen ... nie."
    "Noch nie? Gehörst du nicht der katholischen Kirche an?"
    "Aber Vater, das tun wir doch alle, oder nicht? Muss ich Sie denn daran erinnern, dass kata holos umfassend bedeutet? Für alle?"
    Der Priester seufzte leise. "Was führt dich denn an diesem Tag zur Beichte?"
    "Ich habe gehört, dass Sie den besten Trost spenden, Vater."
    "Oh, das bin nicht ich, mein Sohn. Das sind Jesus Christus und der allmächtige Vater, die den Trost spenden."
    "Aber Sie machen es glaubhaft, heißt es."
    "Auch der Glaube kommt nicht von mir. Den musst du in dir selbst finden."
    "Und wenn ich ihn in mir nicht finden kann?"
    "Ist es das, worüber du sprechen möchtest? Deine Suche nach dem Glauben?"
    "Nein, Vater. Es ist nicht meine Suche, um die es geht."
    "Nun, dann beginne doch einfach mit der Bekenntnis deiner Sünden."
    Der Gast kichert. "Ich weiß nicht, Vater, wo ich anfangen soll. Ich bin so vieler ... Vergehen schuldig."
    "Nun, mein Sohn, wir sind alle nur Menschen."
    "Meinen Sie?"
    "Erzähle mir einfach, was dir als erstes in den Sinn kommt."
    "Nun ja, lüsterne Gedanken. Frauen, Geld, Macht. Danach verlangt es mich."
    "Mit solchen Gedanken bist du nicht allein, mein Sohn."
    "Und manchmal auch nach Männern."
    "Oh."
    "Bin ich auch damit nicht allein, Vater?"
    "Wir haben alle unsere Fehler."
    "Auch Sie ... Vater?"
    "Selbstverständlich."
    "Gelüstet es Sie auch manchmal nach Männern?"
    "Mein Sohn, dies ist DEIN Gespräch mit dem Herrn. Nicht meines."
    "Na klar. Verzeihung. Ja. Macht. Und Reichtum. Guter Geschmack hat seinen Preis. Nicht wahr, Vater?"
    "Sprich einfach weiter, mein Sohn."
    "Ich habe selbst nie gestohlen oder getötet."
    "Aber?"
    "Woher wollen Sie wissen, dass jetzt ein Aber folgen muss?"
    "Ich weiß es nicht, mein Sohn. Folgt es denn?"
    "Oh ja, Vater."
    Der Mann kichert erneut. "Das Stehlen und Morden. Das haben andere für mich gemacht. Hundertfach. Tausendfach. MILLIONENFACH. Ich liebe dieses neue Zeitalter. Sie nicht auch, Vater? Die Gesetzeshüter sind die eigentlichen Kriminellen. Und in Wahrheit sind die Sünder die Heiligen."
    Der Priester zieht scharf die Luft ein. Er hat es mit einem Geisteskranken zu tun.
    "Geben Sie es zu … Vater. Die Sünden, die Sie hier zu hören bekommen, sind doch bestimmt heutzutage viel interessanter als früher, oder?
Der Geistliche bemüht sich, die Fassung zu bewahren.
    "Fahren ... fahren Sie doch fort."
    "Was denn, bin ich plötzlich nicht mehr Ihr Sohn ... Vater?"
    "Du wirst immer des allmächtigen Vaters Sohn sein."
    Schallendes Gelächter ertönt. "Ja, ich habe es miterlebt, wie der allmächtige Vater mit seinen Söhnen umgeht."
    "Miterlebt?"
    "Ich habe das Wasser in die Schale gegossen, in der Pilatus seine Hände wusch. Immer und immer wieder."
    "Wovon sprichst Du?"
    Der Gast lehnt sich nah an das Holzgeflecht, flüstert, unüberhörbare Begeisterung in der Stimme. "Ich spreche davon, dass ich Freudentänze aufgeführt habe während des Schauspiels, das mir europäische Könige und Königinnen geboten haben, zehn, zwanzig, dreißig Jahrzehnte lang, im Kampf gegeneinander und im Namen ihrer selbsterschaffenen Götter.
    Ich spreche von den Romanows, die ich meinem Zeitenwandel geopfert habe. Die töricht romantische Hoffnung einer Handvoll Träumer, dass mir die Eine entkommen sein könnte, hat sogar später noch für ein bisschen Spaß gesorgt.
    Ich spreche von dem Panzer, den ich während des Blitzkriegs gelenkt habe, nur aus Spaß an der Freude, bevor ich mich zum General habe ernennen lassen, um das Spektakel bequemer beobachten zu können. Sie werden sich wundern, Vater, aber Leichengestank ist nicht mein Ding.
    Ich spreche davon, dass ich die Frage beantworten kann, wer John Fitzgerald und Robert Francis ermordet hat! Und wenn Sie in Ihr Herz hineinsehen, dann können Sie das auch!
    Das, Vater, ist nur eine kleine Auswahl meiner Sünden. Gestohlene Seelen, zerstörter Glaube.
    Aber die größte Sünde, Vater, ist wohl die, dass ich lüge. Ständig. In jeder Beziehung. Dass ich vorgebe, etwas zu sein, das ich nicht bin. JEMAND zu sein, der ich nicht bin. Ich lege falsches Zeugnis ab, wo immer ich kann. Aber damit ... Vater ... wie Sie sagten, bin ich ja nicht alleine. Nicht wahr? "
    Der Priester spürt den Angstschweiß auf seiner Stirn. "Wer … bist ... du?"
    "Oh, nur ein armer Sünder, den es nach Absolution verlangt."
    "Nein."
    "Oh doch. Mein Jesus, dies sind alle meine Sünden, die mir bewusst sind …"
    Er will schreien, doch nur ein Krächzen kommt aus seiner Kehle: "Halten Sie den Mund!"
    "Haben Sie Ihren Text vergessen, Vater? Deus, Pater misericordiarum, qui per mortem et resurrectionem Fílii sui …"
    Der Schrei gelingt ihm fast: "Niemals!"
    "… mundum sibi reconciliavit et Spiritum Sanctum effudit in remissionem peccatorum, per ministerium Ecclesiae indulgentiam tibi tribuat et pacem."
    Ein weiterer Versuch in Verzweiflung: "Ich verbiete Ihnen …!"
    "Sprechen Sie mir einfach nach, Vater: Et ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen."
    "ICH WILL JETZT WISSEN, WER SIE SIND!"
    Der Gast atmet tief ein und langsam wieder aus, zufrieden. "Aber das weisst du doch längst. Ich bin der, der alles kann, außer sterben und wieder aufsteigen.
    Ich bin der, der dir deinen größten Traum erfüllen kann. Ich kenne deinen Wunsch. Auch du bist ein Mensch wie alle anderen. Von Ehrgeiz zerfressen."
    Der Priester fragt sich, warum er eigentlich weiter spricht, warum er nicht davonlaufen kann. "Mein einziger Wunsch ist es, der Mutter Kirche zu dienen."
    "Ja, das weiß ich. Aber auch du bist nicht ganz ehrlich. Denn du hast deine eigene Vorstellung, wie du deiner … Mutter am besten dienen könntest. In welcher Position."
    "Was meinen Sie damit?"
    "Das höchste Amt der Kirche. Du willst es. In deinen geheimsten Träumen. Die sind mir nicht verborgen."
    "Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen."
    "Ich habe recht, nicht wahr? Ich weiß es."
    Nun ist es am Priester, zu lachen. "Ich bin nicht einmal Bischof. Danach steht noch die Kardinalswürde. Mein Wunsch ist menschlich. Auch ich beichte meine Sünden. Und selbstverständlich ist das eine, die mich immer wieder heimsucht. Auch wenn mein … Ehrgeiz mir zu schaffen macht, weil ich weiß, dass er falsch ist, ein Wunsch, der sich nie erfüllen wird, ist ein ungefährlicher."
    "So? Ich werde jetzt gehen, wie du es gewünscht hast. Das wird sich also schon einmal erfüllen."
    "Das ist ja kein Hexenwerk."
    "Und doch … Teufelswerk." Lachen. "Wenn du gleich deine Kabine da drüben verlässt, wirst du dich an diese Begegnung nicht mehr erinnern. Sie wird dir erst wieder ins Gedächtnis gerufen, wenn du in einigen Jahren, an einem ganz gewöhnlichen Donnerstag nach Hause kommst und deine Haushälterin mit einer Nachricht auf dich wartet. Und dann wirst du dich noch einmal fragen müssen, ob dein Wunsch wirklich so unerfüllbar und … ungefährlich ist."
    "Was für eine Nachricht?"
    "Soll ich dir die Überraschung wirklich verderben? Na gut. Du kannst es dir aber sicher schon denken. Es wird deine Ernennung zum Bischof sein. Noch bevor du dein halbes Jahrhundert auf dieser Welt vollendet haben wirst, wird man dich zum Bischof ernennen, kurz nach der Vollendung, weihen.
    "Was? Unmöglich."
    "Wieso denn? Du leistest gute Arbeit. Das wird anerkannt werden. Außerdem prophezeihe ich dir die Ernennung zum Kardinal binnen eines weiteren Monats."
    "Unsinn! Weiche von mir, Luzifer!"
    "Aaah, ich wusste, dass ich mich standesgemäß genug vorgestellt habe."
    "Warum? Warum ich?"
    "Ach, jetzt halt dich nicht für so unglaublich wichtig. Mir war langweilig. Das alles geht schon wirklich ewig. Ich kann alles tun, was ich will. Und niemand stellt sich mir in den Weg. Nach all den Jahrhunderten. Jahrtausenden. Äonen. Wird es einfach langweilig.
    Und deine Kirche lag auf dem Weg."
    "Auf dem Weg? Wohin?"
    "Das braucht dich nicht zu interessieren. Politik wird erst noch zu deinem Geschäft werden."
    "Aber, wenn Sie … der … Wie können Sie denn … in einer Kirche?"
    "Uh, hach, heiliger Boden, Highlander!" Lautes Lachen erklingt. "Du hättest erwartet, hier vor mir sicher zu sein? Dachtest du, der … Leibhaftige geht in Flammen auf angesichts des Gekreuzigten? So billig bin ich nicht. So einfach mache ich es Euch nicht. Dann würdet Ihr mich ja sofort erkennen. Immer und überall. Euer Gekreuzigter kann Euch schützen, oh ja. Aber ob er es kann, liegt nicht an irgendwelchen chemischen Reaktionen zwischen ihm und mir, sondern an der Chemie zwischen ihm und Euch! Gebt nicht immer mir die Schuld an allem Schlimmen, das passiert."
    "Ich … möchte … dass Sie jetzt gehen."
    Knarrendes Holz in der Dunkelheit. "Wunsch erfüllt. Aber wir sehen uns wieder. Wenn der Herr Bischof der Herr Kardinal ist, und wenn dann innerhalb weiterer drei Dekaden ein … Heiliger Vater vor seinen Schöpfer tritt. Dann werden wir uns wieder sehen. Denn für diesen letzten Schritt wirst du möglicherweise wieder meine Hilfe benötigen. Und du weisst ja. Umsonst ist nur der Tod."
    "Gehen Sie jetzt … bitte."
    "Und solltest du in Erwägung ziehen, diese oder die andere Ernennung abzulehnen, eine Warnung: Zachäus hat sich später in den Hintern gebissen.  Einen Augenblick der Schwäche, des schlechten Gewissens, und der Blödmann schenkt alles her, was er sich in Jahrzehnten mit meiner Hilfe aufgebaut hat. Und nicht nur das. Er war nicht nur seinen Reichtum los, sondern auch seine Seele, die er meinte, mit dieser angeblich ach so selbstlosen Aktion retten zu können."
    "VERSCHWINDEN SIE!"
    "Sie erheben die Stimme in Ihrer Kirche, Vater? Sie wissen, dass das nichts bringt. Ich bekomme, was ich will. Mit oder ohne Gegenleistung meinerseits."
    Der Priester stürzt aus dem Beichtstuhl, läuft zur anderen Tür hinüber und reißt sie auf. Beim Anblick der leeren Kabine fragt er sich, was er eigentlich hier will.
    Er wendet sich zu den beiden alten Frauen um, die dort warten und ihn entsetzt anschauen, als sei er … der Leibhaftige. Warum erschaudert er bei diesem Gedanken gerade jetzt mehr als sonst?
    Den beiden Frauen so freundlich wie möglich zulächelnd macht er sich auf den Weg zurück in seinen Beichtstuhl.

Copyright Esther Koch 07. Juni 2012

2 Kommentare:

Wolfgang Weitzdörfer hat gesagt…

Ich hatte ja die Ehre, ihn schon vorher, also quasi pränatal, lesen zu dürfen... Und, liebes Esthie: wieder mal ein toller Sonntagskrimi!! Werden mir fehlen, wenn Du wirklich demächst ne Pause einlegen willst... :-(

Trillian hat gesagt…

Dankedanke, aber bis dahin sind's ja noch ein paar Wöchelchen. :-)