Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt

"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe

Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)

Sonntag, 29. April 2012

Sonntags-Pausen-Krimi 12: Das Bad der wunden Müh, den Balsam kranker Seelen

Das Bad der wunden Müh, den Balsam kranker Seelen

    Max liebte diesen Job. Er hatte wirklich Glück gehabt. Die meisten seiner Kommillitonen mussten in staubigen Lagerhäusern oder fettriefenden Schnellrestaurants den Sommer verbringen. Da war der Job in der Therme schon etwas Anderes. Gut, die feuchte Wärme hätte vielleicht auch nicht jedem zugesagt. Max jedoch empfand sie als angenehm. Und wirklich schwer war die Tätigkeit auch nicht. Ab und zu musste er mit einer überbreiten Gummilippe an einem langen Stiel das aus den Becken getragene oder geschwappte Wasser wieder zurückschieben, damit sich kein rutschiger Film auf dem kleingefliesten Boden bilden konnte.
    Außerdem half er den Bademeistern, ein Auge darauf zu haben, dass keine Jugendlicher vom Beckenrand auf irgendwelche Omis draufsprang. Aber meistens schob er eben Wasser von den Laufflächen zurück in die Becken oder wischte die Böden in den Ruheräumen.
    Max fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und beschloss, eine kurze Pause einzulegen. Er lehnte sich vor den Ruheräumen an die Wand und zückte sein Handy. Eine Nachricht von seiner Freundin. Er lächelte und tippte eine kurze Antwort ins Display.
    Er steckte das Handy wieder in die Tasche, nahm Mopp und Eimer und öffnete die Tür zur mittelgrün gefliesten Ruheoase. Kurz sah er sich in dem halbdunklen, warmen Raum um.
    An der gegenüberliegenden Wand lag eine Person, in einen Bademantel gehüllt, die Füße und das Gesicht mit Handtüchern bedeckt. Er spürte, wie sich die Tür fast lautlos hinter ihm schloss. Bewegungslos blieb er stehen, den Stiel seines Arbeitsgerätes in der Hand. Leise plätscherte der kleine Trinkwasserbrunnen in der Mitte des Raumes. Die Person auf der hintersten Pritsche rührte sich nicht.
    "Schläft," dachte Max und machte sich behutsam an die Wischarbeit. Langsam arbeitete er sich mit seinem breiten Wischmopp ins Halbdunkel vor.
    Ungefähr in der Mitte des Raumes fiel ihm auf, dass die glänzende Feuchtigkeit auf dem Boden dunkler wurde. Er tauchte den Mopp in sein Wischwasser. Auch dieses färbte sich dunkel.
    Er ging in die Hocke, fuhr mit der flachen Hand über den feuchten Boden und betrachtete danach seine Handfläche aus der Nähe. Rot!
    Max ließ seinen Moppstiel los und sprang auf. Mit zusammengekniffenen Augen beugte er sich vor und folgte der in der Entfernung schmaler werdenden dunklen Spur bis hin zur Pritsche, auf die die bewegungslose Gestalt gebettet war. Vorsichtig schlich er auf die Liege zu.
    Er räusperte sich. "Entschuldigung," flüsterte er. Dann lauter, "Hallo, hören Sie mich?"
    Er schaute auf den Boden zu seinen Füßen und bemerkte, dass er in einer dunklen Pfütze stand.
    "Scheiße," flüsterte er.
    Er überlegte kurz, ob er den Körper vor sich berühren sollte, vielleicht sogar versuchen sollte, ihn umzudrehen. Dann schüttelte er den Kopf, drehte sich um und verließ zügig den Ruheraum.
    Ohne zu merken, dass er mit seinen Badeschuhen rote Spuren hinterließ, lief Max zur Bademeisterkabine, in der Klaus, sein Vorgesetzter, gerade saß und telefonierte.
    "Wieviele Würstchen soll ich denn nun mitbringen?" Pause. "Meinst Du, das langt?" Pause. "Ach ja, der Kartoffelsalat. Gut."
    Max rang mit der Entscheidung, ob es denn wohl wirklich als unhöflich angesehen würde, wenn er seinen Grill-Party-planenden Boss unterbrechen und darauf hinweisen würde, dass möglicherweise eine Leiche in der Ruheoase herumlag. Da sah sein Chef ihn an, blickte zufällig an ihm hinab und entdeckte die roten Spuren, die Max, wenn auch nur noch sehr schwach, in die Kabine hineingetragen hatte.
    Ohne die Augen von dem beschmutzten Boden zu nehmen, sagte Klaus, "Du, ich muss Schluss machen. Ich bring lieber mehr mit. Was übrig ist, frierst du ein. Bis nachher."
    Klaus hängte ein und stand auf. "Was ist denn los? Siehst du nicht, was für einen Dreck du machst? Und warum bist du so bleich? Hast du dich verletzt?"
    Max folgte dem Blick seines Chefs und entdeckte die roten Spuren. Dann betrachtete er seine blutige Hand und spürte Übelkeit in sich aufsteigen.
    "Da, in der Ruheoase," stammelte er. "Da liegt einer."
    "Reiß dich zusammen, Junge!" Klaus packte Max an den Schultern und schüttelte ihn leicht. "Komm mit." Er steckte sein Handy ein und schob Max vor sich her aus der Kabine.
    Als sie sich dem Ruheraum näherten, empfing sie ein gellender Schrei.
    "Mist!" Max und Klaus rannten los, schoben Badegäste beiseite und stießen die Tür zur Ruheoase auf. Vor ihnen auf dem Boden saß eine Frau im Badeanzug, mit dem Rücken zur Tür, die Beine von sich gestreckt und leise stöhnend.
    Die beiden Männer gingen zu ihr, um ihr aufzuhelfen. "Ich … ich bin ausgerutscht," flüsterte sie heiser mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    Klaus zog die Frau auf die Füße und sah, worauf sie ausgerutscht sein musste. Ihre Beine, Hände und das Hinterteil ihres Badeanzuges waren dunkelrot gefärbt.
    "Dahinten, Chef," sagte Max und zeigte auf die bademantelumwickelte Gestalt, die immer noch auf der hintersten Pritsche lag.
    "Bring die Frau raus und sag den Sanis Bescheid," wies Klaus Max an.
    Max stützte die Frau und hoffte, dass ihr makaberes Aussehen keine Panik unter den Badegästen auslösen würde. Er trat mit ihr hinaus und sagte zu den umstehenden Neugierigen: "Alles okay, liebe Leute, wir haben alles im Griff. Gehen Sie bitte wieder ins Wasser. Und nicht ohne Badeschlappen über die nassen Fliesen rennen. Sie sehen ja …." Er wunderte sich selbst, wo er noch seinen Humor her nahm.
    Zum Glück war die Bademeisterkabine nicht weit entfernt. Dort würde er die Frau hinsetzen damit sich einer der Sanitäter um sie kümmern konnte.
*
    Klaus wagte sich unterdessen näher an die reglose Gestalt heran. Langsam griff er nach dem Handtuch, das über ihrem Gesicht lag. Mit zwei Fingern zog er es vorsichtig weg.
    "Verdammte Schei..." die letzte Silbe blieb ihm im Hals stecken. Eine Frau, Augen und Mund weit aufgerissen, genau wie ihre Kehle!
    Klaus ließ das Handtuch fallen und lehnte sich mit zusammengekniffenen Augen an die Wand.
    "Atmen!" erinnerte er sich schließlich selbst. Er sog die stickige Luft ein. "Ich muss hier raus."
    Langsam, um nicht ebenfalls in der Blutlache auszurutschen, verließ er den Ruheraum und lehnte sich außen an die geschlossene Tür. Besucher schauten ihn im Vorbeigehen an.
    "Volker!" rief Klaus einem anderen Bademeister zu, den er in der Nachbarhalle stehen sah.
    Volker drehte sich um, sah seinen Chef und kam gemächlich heran spaziert. "Was gibt's? Bleibt's bei 18 Uhr heut' Abend?"
    Ach, die Grill-Party. Egal jetzt. "Das … darum geht's jetzt nicht. Stell dich hier hin und lass niemanden rein. Sag den Leuten, der Raum wird desinfiziert oder so was." Klaus machte sich auf den Weg zur Bademeisterkabine.
    "Aber was …?" rief Volker ihm nach.
    "Stell keine Fragen, mach, was ich dir gesagt hab!" brüllte Klaus zurück.
    In der Aufsichtskabine wurde die gestürzte Frau gerade von zwei Sanitätern untersucht. Einen davon zog Klaus auf die Seite.
    "Hören Sie, mein Gehilfe hier wird Ihnen jetzt im Ruheraum etwas zeigen. Ich glaube nicht, dass Sie da noch was machen können, aber … ich weiß ja auch nicht. Max, bitte."
    Max schluckte schwer, verließ aber mit dem Sanitäter die Kabine.
    Dessen Kollege war gerade dabei, der Frau im Bademantel, den Max ihr besorgt hatte, beim Aufstehen zu helfen. "Ich werde Sie jetzt zu ihrem Spind begleiten, da holen Sie Ihre Sachen und dann fahren wir mal in die Klinik. Sicherheitshalber."
    Dann fügte er, an Klaus gerichtet hinzu. "Ich glaube nämlich, sie hat sich auch den Kopf gestoßen. Behauptet, ein Typ in 'nem schwarzen Mantel, aber ohne Gesicht hätte sie im Ruheraum geschubst." Er machte eine kreisende Bewegung mit dem Zeigefinger auf Höhe seiner Schläfe.
    Behutsam führte er die Frau aus der Kabine und wäre fast von seinem Kollegen umgerannt worden, der gerade herein gestürzt kam.
    "Haben Sie schon die Polizei verständigt?" fragte er Klaus.
    "Nein. Das mache ich jetzt."
    "Aber schleunigst!" befahl der Sanitäter und half seinem Kollegen, die verdutzt dreinblickende Patientin im Bademantel hinauszuführen.
    "Na dann," seufzte Klaus. "Max, lauf vor zur Kasse und sag denen, dass sie schließen sollen. Wir brauchen nicht noch mehr Schaulustige, wenn's gleich hoch her geht."
    "Alles klar," antwortete Max und verschwand wieder aus der Kabine.
    Klaus schloss die Tür hinter ihm und rief die Polizei an.
*
    Keine zehn Minuten später waren die Beamten eingetroffen und hatten begonnen, das Gelände abzusperren, den Tatort zu sichern und die Personalien sämtlicher anwesenden Gäste und Angestellten aufzunehmen.
    Allmählich leerte sich das Schwimmbad, während Kommissar Reinhold sich von einem zitternden, auf einem Hocker zusammengesunkenen Max zum dritten Mal erzählen ließ, wie er die Leiche entdeckt hatte.
    Klaus schaltete sich ein: "Meinen Sie, Herr Inspektor, dass die Geschichte beim zwölften Mal anders klingt?"
    "Kommissar!" korrigierte Reinhold.
    "Oh, Entschuldigung," erwiderte Klaus mit ironischem Tonfall, "Herr Kommissar! Außerdem hat nicht der Junge die Leiche entdeckt, sondern ich."
    Kommissar Reinhold richtete sich auf und sah Klaus wortlos in die Augen.
    "Er hat nur das Blut entdeckt. Um den Körper hinten in der Ecke hat er sich nicht weiter gekümmert," fuhr Klaus fort.
    "Das sagt ER," entgegnete Reinhold, ohne den Blick von Klaus' Gesicht zu wenden.
    "Max," sagte Klaus, dem Blick des Kommissars standhaltend, "von jetzt an sagst Du nichts mehr ohne Rechtsbeistand. Der Herr … Kommissar … unterstellt Dir offensichtlich was."
    "Mir?" Max erhob sich und starrte den Polizisten an. "Aber … was denn? Ich hab doch nichts getan. Ich hab nur da gewischt und da war schon das Blut. Ich hab nichts damit zu tun."
    "Ist schon gut Max," wandte sich Klaus an ihn. "Du gehst jetzt nach Hause. Wir sehen uns morgen."
    Max nickte und schlich schweigend aus der Bademeisterkabine.
    Ein weiterer Beamter trat herein. "Wir haben jetzt alle Personalien aufgenommen. Die letzten Gäste dürften in spätestens 15 Minuten draußen sein."
    "Danke, Sawatzki," antwortete Kommissar Reinhold. "Dann sehen wir uns nochmal den Tatort an."
    "Da brauchen Sie mich wohl nicht dabei, oder?" fragte Klaus.
    Reinhold sah Klaus, der einen guten Kopf größer war als er selbst, noch einen Moment prüfend an. Dann lächelte er eisig.
    "Danke. Ich melde mich dann schon." Das Lächeln verschwand schlagartig, Reinhold drehte sich schwungvoll um und schritt aus der Kabine in Richtung Ruheoase.
*
    Der grüne Ruheraum war nun erhellt durch die Deckenbeleuchtung, die sonst nur während der täglichen Grundreinigung und Desinfektion eingeschaltet wurde. Gelegentlich flammte ein Blitzlicht auf. Männer und Frauen in weißen Overalls und Latexhandschuhen wuselten herum.
    "Dorn!" rief Reinhold dem Arzt zu. "Was haben wir?"
    "Weibliche Leiche, circa 35 Jahre, Todesursache …. " Dorn zögerte.
    "Ja? gibt’s da Probleme?" fragte Reinhold und betrachtete die Blutlache  hinter sich und den klaffenden Riss in der Kehle der Frau, die vor ihm lag.
    "Nun, jemand hat ihr die Kehle … durchgeschnitten, dabei den Kehlkopf verletzt. Morgen kann ich Dir sagen, ob sie verblutet oder an ihrem Blut erstickt ist," erklärte der Mediziner. "Ich vermute letzteres."
    "Kampfspuren?"
    Der Arzt schüttelte den Kopf. "Es kann sogar sein, dass sie im Schlaf überrascht wurde."
    Angewidert verzog Reinhold das Gesicht. "Sie wurde also hier umgebracht?"
    Dorn nickte. "Schau Dir doch das ganze Blut hier an. Außerdem hätte sie nach einer solchen Verletzung nicht hier her transportiert werden können, erstens ohne dass das jemand mitbekommt, und zweitens ohne schon auf dem Weg hierher eine riesige Sauerei zu veranstalten."
    Reinhold beugte sich über die Frau und betrachtete die Wunde. "Es sei denn, sie wurde nicht durch die Tür hereingebracht."
    "Na, durch den Trinkwasserbrunnen da ist sie sicher nicht herein gequetscht worden," lachte Dorn. "Ich vermute, sie hat da gelegen und gedöst oder geschlafen. In Anbetracht der Position, in der ihr Kopf sich befand, schätze ich, dass der Angreifer mit einer Hand ihre Haare gepackt und den Kopf nach hinten gerissen hat. Mit der anderen Hand hat er ihr praktisch in der gleichen Sekunde die Kehle durchtrennt."
    "Sie hatte also keine Chance," flüsterte Reinhold. "Dieses Schwein."
    "Schaut euch ruhig die Badegäste und Angestellten genau an. Könnte sein, dass euer Täter dabei ist," sagte Dorn.
    "Wieso?"
    "Weit kann er nach der Tat nicht gekommen sein. Sie ist erst eine, sicherlich noch keine zwei Stunden tot."
    "Hoffentlich waren wir schnell genug," murmelte Reinhold. "Haben wir die Mordwaffe?"
    "Du wirst lachen," antwortete Dorn. "Die haben wir vermutlich sogar."
    "Wieso vermutlich?"
    "Na, du weißt doch, ohne Laborbericht …"
    Inspektor Sawatzki reichte Reinhold eine durchsichtige Plastiktüte mit einer Nummer darauf und einem blutigen Gegenstand darin.
    "Was zum …?"
    "Eine Gabel," erklärte Sawatzki. "Aus der Cafeteria hier in der Therme."
    "Und damit hat er ihr ...?"
    Dorn nickte. "Auf den ersten Blick kann das hinhauen. Ihre Verletzung ist ja kein glatter Schnitt."
    Reinhold gab dem Inspektor die Tüte zurück. "Fingerabdrücke, DNA-Spuren, das Übliche. Mit ein bisschen Glück hat das Schwein die gleiche Gabel zweckentfremdet, mit der er vorher selbst gegessen hat."
    Sawatzki trat noch einmal auf Reinhold zu, diesmal mit einer größeren Tüte in den Händen. "Das interessiert Sie vielleicht auch, Chef."
    "Und was ist das jetzt?
    "Das haben wir hinter der Wartungsklappe dort gefunden." Der Inspektor deutete hinter sich, auf eine geöffnete, mit großer Nummer versehene Klappe neben der Tür. "Ein dunkelblauer Frotteebademantel mit Blutspuren."
    "Gut. Wir sehen uns dann."
    Die Hände in die Manteltaschen gestopft verließ Kommissar Reinhold die Ruheoase.
*
    Zwei Tage später begrüßte Dr. Friedrich Dorn seinen Kollegen Lutz Reinhold in seinem Büro.
    "Volltreffer. Wir haben DNA-Spuren. Und sogar Fingerabdrücke, aber die sind stark verschmiert. Schweißnasse Hände, schätze ich, und der halbherzige Versuch, die Mordwaffe am Bademantel abzuwischen."
    "Gut," Reinhold wandte sich halb um und griff nach der Türklinke, "dann lasse ich eine Liste der Männer ausdrucken, die am Mordtag in der Therme waren. Wenn wir DNA-Proben von denen …"
    Der Arzt schüttelte den Kopf. "Nun mal nicht so schnell, Lutz. Du hast von Anfang an angenommen, dass ein Mann der Täter ist. Warum eigentlich?"
    "Frauen machen nicht so eine Sauerei. Die arbeiten eher mit Gift. Oder mit irgendwas Anderem, das keine große Kraft erfordert."
    Dr. Dorn hob die Augenbrauen und reichte Reinhold seinen Bericht. "Dann muss ich dich aber herb enttäuschen. Die DNA-Probe stammt von einer Frau."
    Reinhold nahm das Blatt entgegen. "Dann hat der Mörder nicht seine eigene Gabel benutzt."
    "Das ist natürlich möglich. Aber … der Bademantel hat auch eine Konfektionsgröße für Frauen."
    Reinhold ließ die Hand mit dem Bericht sinken und starrte seinen Kollegen an.
    "Das mit der Gabel kann noch Zufall gewesen sein," fuhr dieser fort, "aber wer außer dem Mörder hätte den Bademantel dort verstecken sollen?"
    Der Kommissar nickte. "Also gut. Dann an die Arbeit."
*
    Drei Tage darauf sahen sich Reinhold und Sawatzki einem ernüchternden Ergebnis gegenüber.
    "Wir haben alle gründlich überprüft. Alle waren freiwillig zur Mitarbeit bereit. Sowohl die Badegäste als auch die Angestellten. Keine der Proben stimmt überein." Sawatzki ließ sich auf einen Stuhl fallen.
    "Ich bin sicher, dass wir etwas übersehen."
    "Oder jemanden," knurrte Reinhold. "Komm mit."
    Reinhold sprang auf und Sawatzki stürzte hinter ihm her aus dem Büro.
*
    "Ach, der Herr Kommissar!" rief Klaus den Beamten entgegen. "Max, schau nur, wer wieder hier ist."
    "Lassen Sie den Quatsch. Ich muss mit Ihnen reden. Und mit Ihrem … Gehilfen," er deutete auf Max.
    Die vier Männer gingen in die gläserne Bademeisterkabine.
    "Ich sage es ganz offen," begann Reinhold sofort. "Wir stecken in unseren Ermittlungen fest. Uns fehlt ein Stück des Puzzles. Also fangen wir noch einmal ganz von vorne an. Bei Ihnen, die die Leiche entdeckt haben."
    "Entdeckt?" sagte Klaus. "Wie werden also nicht mehr verdächtigt?"
    Reinhold schüttelte den Kopf. "Zum jetzigen Zeitpunkt … suchen wir eine Frau."
    "Eine Frau? Als Mörderin?" Klaus sah den Kommissar ungläubig an. "Damit pinkle ich mir vielleicht wieder selber ans Bein, aber … so was macht doch keine Frau."
    "Davon waren wir auch ausgegangen," schaltete Inspektor Sawatzki sich ein. "Aber die Indizien sprechen dafür."
    "Welche Indizien?" fragte Max aus dem Hintergrund.
    "Ist Ihnen zum Beispiel ein Badegast in einem dunkelblauen Bademantel aufgefallen?" fragte Sawatzki.
    Klaus und Max sahen einander an. Max schüttelte den Kopf, aber Klaus sagte, "Ich habe niemanden in einem dunkelblauen Bademantel gesehen, aber da war diese Frau, die in der Kabine auf dem Blut ausgerutscht und gestürzt ist. Die hat dem Sanitäter etwas von einer Gestalt in einem schwarzen Mantel erzählt. In dem dunklen Ruheraum kann ein dunkelblauer Bademantel schwarz aussehen."
    Sawatzki und Reinhold machten einen Schritt auf Klaus zu. "Rufen Sie sofort diesen Sanitäter herbei!" befahl Reinhold.
    Max griff zum Telefon.
*
    Der Bericht des Sanitäters hatte tatsächlich einen weiblichen Namen enthalten, der auf den Personalienlisten des Mordtages fehlte.
    Kommissar Lutz Reinhold, Inspektor Sawatzki und zwei Beamte in Uniform standen vor einem kleinen Einfamilienhaus.
    Reinhold klingelte. Die Tür wurde geöffnet.
    "Frau Annemarie Gruber?"
    Die dunkelhaarige Frau blickte die Männer nacheinander an, dann warf sie die Tür wieder ins Schloss.
    "Außen rum!" brüllte Reinhold, und die Polizisten rannten los. Reinhold folgte ihnen, während Sawatzki die Vorderseite des Hauses im Auge behielt.
    Als Reinhold um die Hausecke gelaufen kam, überwältigten die beiden Uniformierten gerade die Frau, die aus der Terrassentür zu fliehen versucht hatte.
*
    Die Kaffeemaschine auf dem Polizeirevier gab täglich bedenklichere Geräusche von sich. Aber solange der Kaffee leidlich genießbar war, würde sie wohl nicht ersetzt werden.
    Sawatzki schob Annemarie Gruber einen dampfenden Becher hin. Sie starrte ihn nur an und schluchzte leise.
    Der Inspektor setzte sich auf den Stuhl an der gegenüberliegenden Seite des Tisches. "Erzählen Sie es mir, Frau Gruber?"
    Zögernd und leise begann sie zu sprechen. "Ich habe sie zufällig gesehen. Da, in der Therme. Mein Arzt hat gesagt, ich soll versuchen, mich zu entspannen. Also ging ich in die Therme. Aber dass ich SIE da treffen sollte …"
    "Wer war sie denn?" fragte Sawatzki behutsam.
    "Das Flittchen, das meinen Sohn auf dem Gewissen hat. Ha, Gewissen. So was hatte die doch gar nicht. Hat ihm vorgelogen, dass sie ihn liebt. Hat ihn ausgenommen. Er hat alles für sie aufgegeben. Dann hat sie ihn fallen lassen. Von einem auf den anderen Tag. Er war so verzweifelt."
    Sie fing wieder an zu schluchzen. "'Mama,' hat er gesagt, 'was soll ich denn nur ohne sie machen?' Und dann ... dann hat er sich umgebracht. Er war doch erst einundzwanzig!"
    Sawatzki zog eine Packung Papiertaschentücher hervor und reichte sie der nun hemmungslos weinenden Frau. "Erzählen Sie mir mehr von dem Tag in der Therme. Sie haben sie zufällig gesehen …"
    "Ja." Annemarie putzte sich die Nase. "In der Cafeteria. Sie hat mich nicht gesehen. Ich war so wütend. Eigentlich wollte ich gleich da zu ihr gehen. Ihr eine reinhauen. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Dachte immer nur, dann spaziert sie hier auch wieder raus, und es gibt immer noch keine Gerechtigkeit für meinen Jungen. Da habe ich meine Gabel genommen und in die Tasche von meinem Bademantel gesteckt."
    "Ein dunkelblauer Bademantel?"
    Annemarie nickte und fuhr fort. "Ich bin ihr hinterher gegangen. Sie ging in diesen Ruheraum und legte sich hin. Ich habe mich auch hingelegt und gewartet, bis wir alleine waren. Dann bin ich zu ihr geschlichen und habe … mit der Gabel ..."
    Sie griff nach dem Kaffeebecher und leerte ihn zur Hälfte.
    "Und dann?"
    "Dann … habe ich die Gabel abgewischt und das Handtuch wieder auf ihr Gesicht gelegt. Ich hörte ein Geräusch, draußen direkt vor der Tür und ließ die Gabel fallen. Ein Schatten war vor der Glastür. Jemand wischte den Boden. Und dann kam er herein. Ich habe mich neben der Tür in eine dunkle Ecke gedrückt. Er hat mich nicht gesehen. Dann hat er … das Blut entdeckt und ging wieder hinaus, aber ich … meine Beine waren … wie gelähmt. Ich zog den Bademantel aus und versteckte ihn. Dann tat ich ein paar Schritte und stürzte. Zwei Männer kamen herein. Erst dachte ich, jetzt ist es aus, aber die beiden haben mir aufgeholfen. Und da wusste ich, wie ich entkommen konnte. Ich habe dem Sanitäter erzählt, ein Mann in einem schwarzen Mantel hätte mich umgestoßen, und ich hätte starke Schmerzen. Der Sanitäter hat mich ins Krankenhaus gebracht, bevor die Polizei kam."
    Sie brach ab und trank den Becher leer.
    "Darf ich jetzt wieder nach Hause zu meinem Sohn?" Annemarie blickte den Inspektor aus großen Augen an.
    Sawatzki seufzte, ging hinüber zum Telefon und wählte die Nummer des Polizeipsychologen.


Copyright Esther Koch 29. April 2012



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